Polioviren in deutschen Abwasserproben, was Eltern wissen sollten
- Johanna

- 30. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. Aug.
Seit Ende November 2024 wurden in mehreren deutschen Städten Spuren von Polioviren im Abwasser entdeckt, unter anderem in München, Bonn, Köln, Hamburg sowie später auch in Dresden, Mainz und Stuttgart. Es handelt sich dabei um sogenannte Impf-Polioviren, die ursprünglich aus abgeschwächten Schluckimpfstoffen stammen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht inzwischen davon aus, dass eine lokale Übertragung dieser Viren zumindest möglich ist. Krankheitsfälle wurden bisher jedoch nicht gemeldet.

Was ist Kinderlähmung (Polio)?
Poliomyelitis, besser bekannt als „Kinderlähmung“, ist eine hochansteckende Virusinfektion, für die bisher keine gezielte Therapie existiert. Das Poliovirus wird hauptsächlich über den Stuhl-Oral-Weg weitergegeben. Das bedeutet: Gelangt das Virus durch mangelnde Hygiene, verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel in den Mund, kann eine Infektion entstehen.
Ungefähr 25 Prozent der Infizierten entwickeln grippeähnliche Symptome. Besonders gefährlich ist, dass viele Infizierte keine oder nur leichte Symptome zeigen – sie können das Virus aber trotzdem ausscheiden und weitergeben. Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist somit möglich, ohne dass man es sofort bemerkt.
1 bis 5 Prozent entwickeln eine Hirnhautentzündung (Meningitis).
Sehr selten kommt es zu Läsionen im Rückenmark, in diesen Fällen drohen Lähmungen. Unzureichend geschützte Personen können dauerhafte Lähmungen entwickeln, insbesondere gefährlich, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist.
Früher gab es allein in Deutschland pro Jahr Tausende Fälle mit Hunderten Todesopfern. Dank der Impfungen ist Polio heute nahezu verschwunden, dennoch bleibt das Risiko bestehen, solange das Virus anderswo zirkuliert.
Gefährdung für Kinder und Erwachsene
Kinder, die vollständig immunisiert sind, genießen meist einen robusten Schutz.
Ungeimpfte oder unvollständig geimpfte Erwachsene und Kinder sind besonders gefährdet, schwere Verläufe zu entwickeln.
Erwachsene profitieren meist von früheren Impfungen, sollten aber bei Unsicherheiten, Reisen in Risikogebiete oder Immunschwäche ihren Impfstatus überprüfen und ggf. auf den von der STIKO empfohlenen Stand bringen lassen.
Wie kommen Polioviren ins Abwasser?
Seit 1998 nutzt Deutschland nur den inaktivierten Impfstoff (IPV mittels Impf-Spritze), ohne lebende Viren. Daher kann dieser nicht ins Abwasser gelangen. In Deutschland und anderen polio-freien Staaten kommt der orale Lebendimpfstoff (OPV-Schluckimpfung) nicht mehr zum Einsatz.
In anderen Ländern wird jedoch noch OPV eingesetzt. Nach der Impfung werden abgeschwächte Viren über den Stuhl ausgeschieden und gelangen so ins Abwasser. Die geimpfte Person bleibt dabei gesund. Laut UNICEF nutzten im Jahr 2023 noch rund 143 Länder und Regionen den oralen Polioimpfstoff (OPV) als festen Bestandteil ihrer Routineprogramme. OPV wird vor allem dort eingesetzt, wo Polio noch auftritt oder die Impfraten niedrig sind.
In seltenen Fällen können sich diese Impfviren verändern und wieder gefährlich werden. Dann spricht man von vakzine-abgeleiteten Polioviren. Die in deutschen Abwässern gefundenen Polioviren stammen von Reiserückkehrern oder Zugezogenen aus Regionen mit OPV-Impfungen.
Für geimpfte Kinder und Erwachsene besteht jedoch kein Anlass zur Sorge.
Können Wasserfilter Polioviren herausfiltern?
Das Leitungswasser in Deutschland kannst du weiterhin problemlos trinken, auch angesichts der aktuellen Funde von Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren im Abwasser.
Trinkwasser in Deutschland wird streng überwacht und aufbereitet.
Zwischen Abwasser, in dem die Polioviren nachgewiesen wurden, und dem Trinkwasser besteht kein direkter Kontakt.
Die Wasserwerke setzen mehrere Sicherheitsstufen ein (Filtration, Desinfektion), sodass Krankheitserreger zuverlässig entfernt werden.
Polioviren sind sehr klein – etwa 27 Nanometer. Normale Haushalts-Wasserfilter (z. B. Aktivkohlefilter, Tischfilter, einfache Campingfilter) sind nicht in der Lage, Viren dieser Größe sicher herauszufiltern. Sie verbessern zwar Geschmack und entfernen Bakterien oder Partikel, gegen Viren helfen sie aber nicht verlässlich.
Spezialfilter: Nur Hochleistungsfilter mit extrem feinen Membranen (z. B. Ultrafiltration oder Umkehrosmose mit Porengroßen unter 0,01 Mikrometer) können auch Viren wie Polio in nennenswertem Umfang zurückhalten. Solche Systeme sind jedoch meist teuer und brauchen regelmäßige Wartung.
Abkochen: Polioviren sind hitzeempfindlich. Abkochen von Wasser für mindestens eine Minute zerstört die Viren zuverlässig. Das ist die sicherste und praktischste Methode, wenn Zweifel an der Trinkwasserqualität bestehen.
Desinfektion mit Chlor: Auch eine ausreichende Chlorung des Wassers kann Polioviren unschädlich machen. Deshalb ist in vielen Ländern die Trinkwasserdesinfektion ein wichtiger Schutzfaktor.
Normale Haushalts-Wasserfilter reichen nicht aus, um Polioviren sicher zu entfernen. Wer in Regionen reist oder lebt, in denen Polio noch vorkommt oder die Trinkwasserversorgung unsicher ist, sollte auf abgekochtes oder industriell abgefülltes Wasser zurückgreifen. Der beste Schutz für Kinder und Erwachsene ist die Schutzimpfung gegen Polioviren.
Impfschutz – was Eltern wissen sollten
Die Stiko empfiehlt:
Grundimmunisierung im Säuglingsalter mit drei IPV-Impfungen im ersten Lebensjahr.
Auffrischung zwischen 9 und 16 Jahren.
Der inaktivierte IPV-Impfstoff schützt sehr zuverlässig vor einer Erkrankung, auch wenn eine Infektion und Weitergabe nicht in jedem Fall ausgeschlossen werden können.
In Deutschland können Eltern selbst entscheiden, welche Impfungen ihr Kind erhält. Eine Ausnahme bildet die Masernimpfung, die beim Eintritt in den
Kindergarten/Tagesbetreuung verpflichtend ist.
Aktuelle Daten des RKI zeigen, dass die Empfehlung der STIKO häufig nicht rechtzeitig umgesetzt wird:
Mehr als eine halbe Million Kinder eines Jahrgangs sind zu ihrem ersten Geburtstag noch nicht vollständig geimpft,
und selbst im Alter von zwei Jahren fehlt bei über 180.000 Kindern der vollständige Schutz.
Besonders die dritte Impfung wird vielerorts zu spät verabreicht.
Hinzu kommen große regionale Unterschiede: In einigen Landkreisen liegt die Impfquote bei Zweijährigen sogar unter 60 Prozent.
Damit bleibt ein relevanter Teil der Kinder anfällig für eine Erkrankung, die eigentlich vermeidbar ist.
Polio-Impfung bei Erwachsenen
Wer als Kind die Grundimmunisierung und eine Auffrischung im Jugendalter erhalten hat, ist in der Regel lebenslang vor einer Erkrankung geschützt. Eine routinemäßige Auffrischung ist nicht erforderlich.
Eine zusätzliche Impfung wird Erwachsenen empfohlen, wenn
sie ungeimpft oder unvollständig geimpft sind,
ihr Impfstatus unklar ist,
Für längere Aufenthalte (über vier Wochen) oder Reisen in instabile Regionen empfiehlt das Auswärtige Amt eine Auffrischung, wenn die letzte Impfung mehr als zehn Jahre zurückliegt.
oder sie beruflich in Kontakt mit Polioviren kommen können (z. B. Gesundheitswesen, Labor, Abwasserproben).
Kernbotschaften für Eltern
Polio aus Abwasser ist ein wichtiges Warnsignal, den Impfstatus zu kontrollieren, wenn dieser vollständig ist, dann ist es kein Grund zur Panik.
Achtet bei Reisen in Risikogebiete unbedingt auf gültige Polio-Impfungen.
Das größte Risiko entsteht, wenn Kinder oder Erwachsene nicht vollständig geimpft sind.
Stand: 08/2025
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